Redebeitrag der Gedenkinitiative Phan Văn Toàn | Bundesweite Demo„Damals wie heute: Erinnern heißt verändern“ am 27.08.2022 in Rostock-Lichtenhagen

Im Gedenken an Phan Văn Toàn.

Es ist der 31. Januar 1997, die Temperatur in Fredersdorf ausserhalb von Berlin liegt um den Gefrierpunkt. Um den Lebensunterhalt seiner Familie zu sichern, steht der 42-jährige Phan Văn Toàn auch in der Kälte draussen und verkauft Zigaretten.

Mit dem Ende der DDR waren viele ehemalige Vertragsarbeiter_innen in ihrer Existenz bedroht.
In der von der CDU und rechten Medien geschürten, rassistischen und nationalistischen Stimmung der 1990er Jahre, waren sie nicht nur ständig der Gefahr staatlich legitimierter Gewalt ausgesetzt, sondern auch ökonomisch komplett auf sich allein gestellt.

Die Arbeit, die Phan Văn Toàn verrichtete, war illegalisiert und ständigen Anfeindungen ausgesetzt. Gleichzeitig wurde sie viel und gerne in Anspruch genommen. Auch von denjenigen, die ihn dafür anfeindeten – auch von Rassist_innen – auch von Nazis.

Die perfide Verschränkung der Ausbeutung von – und Hetze gegen illegalisierte Arbeit hat System.

Noch heute ist sie ein Grundstein bundesdeutscher Wirtschaftspolitik. Arbeiter_innen in solchen Bereichen tragen ein hohes Risiko zu Opfern von Gewalt zu werden, weil Menschenfeinde ihre schwierige Lage erkennen und ausnutzen.

So geschah es auch Phan Văn Toàn. Die Nazis, welche am S‑Bahnhof Fredersdorf eine Fahrradaufbewahrung betrieben, klauten wieder einmal Zigaretten aus seinem Lager. Als Phan Văn Toàn notgedrungen das Gespräch sucht, wird er von zwei der Nazis lebensgefährlich verletzt. Drei Monate kämpft er im Krankenhaus um sein Leben und stirbt am 30. April 1997 an den Folgen des Angriffs.

Trotz rassistischer Parolen im Gerichtssaal will das Landgericht Frankfurt (Oder) später keinen ideologischen Hintergrund der Tat sehen. Stattdessen wird die Darstellung der Täter in das Urteil übernommen. Nicht Habgier und Rassismus stehen im Fokus der Verhandlung, sondern die illegalisierte Arbeit von Phan Văn Toàn. Einige Jahre später wird dieselbe Kammer auch beim Mord am Punk Enrico Schreiber kein politisches Motiv bei den neonazistischen Tätern erkennen.

Das besondere Verständnis der deutschen Justiz für Neonazis hat lange Tradition.

Mehr als 20 Jahre nach dem Mord gibt es seitens der Kommune noch immer kein Gedenken an Phan Văn Toàn. Keine Unterstützung für seine Hinterbliebenen. Kein Wort der Verantwortung, des Bedauerns, Nichts. Im Gegenteil: Als im Januar 2020 erstmals Initiativen mit einer Kundgebung daran erinnern, drückt der CDU-Bürgermeister offensiv sein Missfallen aus. Nach der Kundgebung wird der provisorisch errichtete Gedenkort zerstört.

Der Mord an Phan Văn Toàn ist nun 25 Jahre her. Das Pogrom von Rostock Lichtenhagen 30 Jahre.
Die bürgerliche Geschichtsschreibung möchte beides gerne vergessen. Weil wir sie nicht lassen, wird versucht „Erinnern“ zu einer Gruselgeschichte über längst vergangene Tage zu machen.

Ihr Erinnern heißt Vergessen.

Auch das ist deutsche Tradition. Der Nationalsozialismus wird zu einer Verführungsgeschichte umgedeutet, Lichtenhagen zum Mysterium und die vielen rassistischen Morde zu Einzelfällen verklärt. Jedes schreckliche Mal auf’s Neue tut man überrascht, dass Rassist_innen morden.

Diese widerliche Heuchelei können die sich sonst wohin stecken.

Wer selbst rassistisch hetzt, Nazis zu „besorgten Bürgern“ adelt oder die Augen vor der rassistischen Tyrannei deutscher Institutionen verschließt, ist selbst Teil des Problems und trägt Mitverantwortung für die Gewalt.

Unser Erinnern heißt Verändern.

Als Gedenkinitiative setzen wir uns dafür ein, Phan Văn Toàn würdevoll zu gedenken.
Damit sind wir in der Pflicht rassistische Gewalt in all ihren Formen – durch Schläge, Zeitungsartikel oder Gesetze – zu benennen. Auch die Parallelen und Verbindungen von klassistischer und rassistischer Gewalt müssen benannt werden.

Die deutsche Tradition brechen.
Fredersdorf ist auch bei dir im Ort.
Phan Văn Toàn ist nicht vergessen.

Veröffentlicht am 29. August 2022 auf der Seite von korientation e.V., Netzwerk für Asiatisch-Deutsche Perspektiven, mit dem wir kooperieren

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